2019 - Umphang: ein Korridor in die Zukunft

Auf der internationalen Tiger-Konferenz 2010 im russischen St. Petersburg hatten sich alle 13 Tigerverbreitungsstaaten zu dem ambitionierten Artenschutzziel bekannt, die Zahl der Tiger bis zum Jahr 2022 zu verdoppeln. 2010 war das letzte Chinesische „Jahr des Tigers“, 2022 wird das nächste sein. 2010 ging man von etwa 3.200 Tieren weltweit aus, aktuell leben etwas weniger als 4.000 Tiger in freier Wildbahn. Die aktuellen Zahlen zeigen, dass zur Erreichung des Ziels die richtigen Weichen gestellt wurden, aber gleichzeitig noch viel passieren muss.

Insbesondere in vielen Ländern Südostasiens ist die Lage weiterhin besorgniserregend. Neue Untersuchungen, die Anfang des Jahres auf einer internationalen Tigerkonferenz in Neu Delhi veröffentlicht wurden, zeigen, dass die Bestandszahlen in vielen südostasiatischen Staaten weiterhin zurück gehen oder belastbare Zahlen schlichtweg fehlen. In Malaysia scheint es weniger als 200 Tiger zu geben (in früheren Schätzungen ging man noch von bis zu 340 Tieren aus), in Kambodscha wurde seit 2007 kein Tiger mehr gesehen und auch in Vietnam gilt die Art als ausgestorben. Obwohl sich auch diese Länder dazu bekannt haben, die Bestandszahlen zu verdoppeln und ein Aussterben zu verhindern, bleiben Lebensraumzerstörung, Wilderei und illegaler Tigerhandel in teils dramatischen Ausmaßen bestehen.

Doch es gibt auch ermutigende Nachrichten aus Ländern wie Nepal, in dem sich die Zahl der bedrohten Großkatzen von 121 im Jahr 2009 bis heute nahezu verdoppelt hat, oder Indien, in dem mit knapp 3.000 Tieren mit Abstand noch die meisten Tiger in freier Wildbahn leben. Auch in Myanmar, in dem Tiger bereits als ausgestorben galten, gibt es wieder eine kleine, fortpflanzungsfähige Tigerpopulation bestehend aus mindestens 22 Tieren. Durch den Bau einer Wildhüterstation, die 2017 von der A World for Tigers Foundation finanziert wurde, und den Einsatz von Wildhütern, wird die Tigerpopulation in diesem Gebiet geschützt, um ihr Überleben und ihr Wachstum sicherzustellen. Positiv hervorzuheben sind auch die Erfolge im Tigerschutz in Thailand, in dem mit knapp 200 Indochinesischen Tigern durch den kontinuierlichen Einsatz von Wildhütern in vielen Gebieten die Zahlen stabil bleiben.

In all diesen Ländern, in denen es gemeinsame Schutzbemühungen von Regierung, Umweltschutzorganisationen und der lokalen Bevölkerung gibt, bestätigen die neuen Zahlen, dass Erfolge im Tigerschutz nur durch eine konsequente Umsetzung der Schutzbemühungen und nur in einer engen Partnerschaft gelingen.

 

Neuigkeiten aus unserem Projektgebiet, den Mae Wong und Khlong Lan Nationalparks

Wunderbare Neuigkeiten gibt es auch von unserem Tigerprojekt in den Mae Wong und Khlong Lan Nationalparks in Thailand. Es gibt erneut Tigernachwuchs! Wildtierkameras in den Nationalparks haben ein weibliches Tier mit ihren drei gesunden und munteren Jungtieren gefilmt. Die Mutter, auch bekannt als F5, lebt in einem Gebiet der Nationalparks mit einer noch relativ hohen Beutetierdichte. Sie wurde bereits 2014 und 2016 mit ebenfalls jeweils 3 Jungtieren mittels Kamerafallen aufgezeichnet und gehört zu den weiblichen Tieren mit der höchsten Reproduktionsrate. Dieses Beispiel gibt Anlass zur Freude, da bei nur noch etwa 200 wild lebenden Indochinesischen Tigern jeder Nachwuchs wertvoll ist. Darüber hinaus bestätigt es auch den Zusammenhang zwischen einer hohen Fortpflanzungsrate und einer hohen Beutetierdichte, den man auch in anderen Gebieten nachweisen kann.

 
Weiblicher Tiger F5 mit einem Jungtier (links) und zwei weitere Jungtiere (rechts). (© DNP & WWF Thailand)
Durch Anklicken der beiden Bilder werden die Kamerafallenvideos gestartet. 

Trotz dieser erfreulichen Nachricht zeigt die aktuelle Tigerzählung, dass die Gesamtpopulation an Tieren in den Nationalparks nicht signifikant zunimmt. Aufgrund einer insgesamt zu geringen Beutetierzahl pflanzen sich nicht alle weiblichen Tiere regelmäßig fort und die Sterblichkeit der jagdunerfahrenen Jungtiere ist mit ca. 50% sehr hoch. Bei den in den Nationalparks vorkommenden Hauptbeutetieren der Tiger handelt es sich um Gaur (der größte lebende Vertreter der Rinder), Sambar (größere Hirsche), Wildschweine und Muntjak (kleine Hirsche). Als Beute bevorzugt werden dabei Sambar (Gewicht ca. 180 kg), da ein Tiger mit nur einer erfolgreichen Jagd ca. 1 Woche mit Nahrung versorgt ist. Die niedrigen Beutetierzahlen sind hauptsächlich auf die kommerzielle Wilderei der vergangenen Jahre zurückzuführen, bei der „Bush Meat“ an lokale Restaurants als Delikatesse für Touristen verkauft wurde. Um dem entgegenzuwirken schützen nun die Wildhüter zusätzlich zu den Tigern auch deren Beutetiere vor Wilderern. Die Bemühungen sind erfolgreich und ein weiteres Abfallen der Zahlen konnte seither verhindert werden: aktuelle Bestandsmessungen zeigen, dass die Zahl der Sambar und Gaur stabil ist. Damit es zu einem Ansteigen der Zahlen und damit auch zu einem schnelleren Wachstum der Tigerpopulation kommt, muss eine zweite wichtige Maßnahme umgesetzt werden: in gezielten Auswilderungsaktionen müssen Sambar aus geschützten Gehegen, in denen sie sich vermehren, in die freie Natur entlassen werden, um damit das ökologische Gleichgewicht wiederherzustellen.

 
 
Kamerafallenbilder: Tiger
(durch Anklicken des Fotos wird ein Kamerafallenvideo gestartet), Elefant, Bär und Leopard. Alle Aufnahmen wurden 2019 in den Nationalparks aufgenommen (© DNP & WWF Thailand)

 

Freilassung von Sambarhirschen in Mae Wong und Khlong Lan

Insgesamt wurden 5 Gebiete in den Nationalparks mit der geringsten Dichte an Sambarhirschen für die Freilassung der Tiere ausgewählt. Um zu erreichen, dass alle ansässigen weiblichen Tiere regelmäßig 2-3 Jungtiere zur Welt bringen, müssen insgesamt etwa 1.000 Sambar (ca. 200 Sambar pro ausgewähltem Gebiet) freigelassen werden. Diese Zahl ist nicht nur ausreichend, um eine größere Reproduktions- und Überlebensrate der Tiger sicherzustellen, sondern sie ist auch hoch genug damit die Zahl der Sambar selbst stabil bleibt. In Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden des Nationalparks, dem Department of National Parks (DNP) werden bereits Anfang 2020 40 Tiere in einem „soft release“ aus geschützten Gehegen freigelassen. Dabei werden sie zunächst in einen eingezäunten Bereich der Nationalparks gebracht und weiterhin gefüttert, bis sie dann nach ca. 8 Wochen vollständig in die Natur entlassen werden. Das Ziel ist, im Lauf der nächsten 3 Jahre die Gesamtzahl an Tieren schrittweise freizulassen.

Damit die Tiere in ihrer neuen Heimat optimale Lebensbedingungen vorfinden ist es nötig, Grasareale zu schaffen und mehrere Salz- und Mineralleckstellen zu errichten. Durch diese Leckstellen erhalten Huftiere Nährstoffe, die für ihre Gesundheit wichtig sind. In den heißen Monaten verlieren die Tiere viele Salze und Mineralien, so dass es schnell zu Mangelerscheinungen kommen kann und die Tiere daran sterben können. Salz- und Mineralleckstellen werden von den Tieren dankbar angenommen und rege besucht und helfen, solchen Entwicklungen vorzubeugen.

Im Bereich der Salz- und Mineralleckstellen werden zudem in den Baumkronen Plattformen angelegt, um von dort die Sambar beobachten und zählen zu können. Um verlässliche Zahlen für spätere Bestandsmessungen zu erhalten, werden nahe der Leckstellen zusätzlich Kamerafallen installiert. Kleine Grasareale sowie Salz- und Mineralleckstellen werden in insgesamt 9 Gebieten der Nationalparks errichtet. Dazu gehören alle Gebiete, in denen Sambar freigelassen werden sowie 4 weitere Gebiete, in denen damit das natürliche Anwachsen bestehender Sambar-Populationen unterstützt wird. In diesem Jahr wurden bereits die ersten Maßnahmen zur Verbesserung des Lebensraumes der Huftiere in Khlong Din Kem durchgeführt, einem Gebiet im Mae Wong Nationalpark, in dem auch die ersten Sambar freigelassen werden.

 

Kontinuierlicher Schutz der Tiger durch Wildhüter

Zusätzlich zu den wichtigen Projekten der Lebensraumverbesserung für Beutetiere und deren Freilassung war auch in diesem Jahr wieder der kontinuierliche Schutz der Tiger durch Wildhüter eine der wichtigsten Maßnahmen im Rahmen unseres Tigerschutzprojektes. 

Bei ihren Patrouillen haben die Wildhüter insgesamt ca. 63% des 890 km² großen Mae Wong Nationalparks und ca. 86% des 300 km² großen Khlong Lan Nationalparks überwacht. Wie auch in den vergangenen Jahren zeigen sich die Erfolge dieser starken Wildhüterpräsenz daran, dass kein einziger Tiger getötet wurde und die Zahl sonstiger erlegter Tiere immer weiter zurückgeht. Auch die Anzahl illegaler Camps in den Wäldern und die Festnahme von Wilderern ist rückläufig: es wurden insgesamt nur zwei Wilderer festgenommen und die Überreste eines gewilderten Bären gefunden.

 
Patrouillengang durch den Dschungel: im Bild rechts werden frische Tigerspuren ausgemessen

 
Wildhüter bei einem Ausbildungscamp

 
Praktische Anwendung des Erlernten (©
DNP & WWF Thailand)

Im Rahmen der diesjährigen Aufklärungskampagnen wurden sowohl Trainingscamps für Schulen und Hochschulen als auch Events für die einheimische Bevölkerung organisiert. Für die Studenten der Faculty of Forestry-Kasetsart University fanden im Januar, Februar und Juni insgesamt drei 1-wöchige SMART Patrol Trainingskurse statt, in denen sich 100 Studenten grundlegende Kenntnisse zum Erhalt intakter Ökosysteme aneignen konnten. Im Zeitraum von Januar bis Juni wurden zudem mehrere Veranstaltungen organisiert, bei denen ca. 1.000 Schülern lokaler Schulen die große Bedeutung von Umwelt- und Artenschutz mit dem Schwerpunkt Tigerschutz vermittelt wurde.

Ein letzter wichtiger Baustein der jährlichen Aufklärungsarbeiten ist die Zusammenarbeit mit Lehrern ansässiger Schulen, die auf Wunsch der thailändischen Regierung die Vorgabe „Study Less – Learn More“ umsetzen. Diese Vorgabe besagt, dass mit Schülern Aktivitäten und Projekte außerhalb der Klassenräume durchgeführt werden sollen, um ihnen auch auf diesem Weg wichtiges Wissen zu vermitteln. Mit 35 Lehrern aus 18 Schulen wurde dazu im März ein 3-tägiger Workshop durchgeführt, bei dem den Lehrern Informationen zu den wirksamsten Methoden zum Schutz der Tiger und ihres Lebensraums vermittelt wurden. Diese Workshops dienen zum einen dazu, dass das erworbene Wissen in die Lehrpläne der Schulen mitaufgenommen und so an die Schüler weitergegeben wird. Zusätzlich bieten die Workshops den Lehrern auch die Möglichkeit, Teil des bestehenden Tigerschutznetzwerks zu werden und sich mit den Vertretern weiterer Schulen abzustimmen, um gemeinsame Projekte zur Erhaltung bedrohter Tierarten und ihrer Lebensräume zu planen.

 
 
 
Aufklärungsarbeit in Schulen (Reihe 1 und 2) und Hochschulstudenten bei einem SMART Patrol Trainingskurs (unterste Reihe)
(© DNP & WWF Thailand)

Um die Arbeit der Wildhüter in den kommenden Jahren noch stärker zu unterstützen und eine optimale Abstimmung und Zusammenarbeit der verschiedenen Wildhüter-Teams zu ermöglichen, wurde ein SMART Patrol Center in Mae Wong errichtet. Das Zentrum bietet mit 4 Räumen Platz für insgesamt 30 Wildhüter und ist mit großen Landkarten und technischem Equipment ausgestattet.

 
 
Neues SMART Patrol Center in Mae Wong (© DNP & WWF Thailand)

 

Erweiterung des geschützten Lebensraumes der Tiger

Ausgewachsene Tiere leben in eigenen Territorien, deren Größe abhängig vom Beutevorkommen zwischen 20 km² und 450 km² variieren kann. Mit einer zunehmenden Zahl an Tigern in Mae Wong und Khlong Lan wandern Tiere in die angrenzenden Regionen ab, um sich ihr eigenes Revier zu suchen. Umphang, ein Naturschutzgebiet mit einer Größe von ca. 2590 km², spielt dabei in unserem Projektgebiet eine große Rolle, da es nicht nur direkt an Mae Wong und Khlong Lan angrenzt und damit neue Reviere für Jungtiere bietet sondern auch weil es eine Verbindung, einen sogenannten Korridor, zum Tigerlebensraum in Myanmar darstellt. Derartige Korridore sind wichtig, damit die Tiger wandern und jagen können und ein genetischer Austausch zwischen den Gruppen stattfindet. Vor allem der Süden und Osten des Naturschutzgebietes bieten ideale Bedingungen als Lebensraum für Tiger.

Neben dem Schutz der Tiere in unserem bisherigen Projektgebiet und Maßnahmen zur Erhöhung der Beutetierzahlen war die dritte große Priorität in diesem Jahr daher der Aufbau derselben Infrastruktur zum Tigerschutz in Umphang, den es auch in Mae Wong und Khlong Lan gibt.

105 Wildhüter wurden in den vergangenen Monaten ausgebildet und mit dem nötigen Equipment, wie etwa Uniformen, Rucksäcke, GPS Geräte und Kameras ausgestattet, damit sie ihre Arbeit in Umphang aufnehmen konnten. Zusätzlich wurden 17 einfache Wildhüterstationen errichtet.

Die Arbeit der Wildhüter wird vor allem durch die Tatsache erschwert, dass mit 22 Dörfern und etwa 12.000 Einheimischen manche Gegenden in Umphang relativ dicht besiedelt sind und diese verhältnismäßig hohe Bevölkerungsdichte einen großen Druck auf bedrohte Tierarten und Naturressourcen ausübt. Da viele Einwohner zudem nicht Thailändisch sprechen, stellen auch Aufklärungsarbeiten in den Dörfern und die Zusammenarbeit mit den Dorfbewohnern eine Schwierigkeit dar.

Die Wildhüter haben bei ihren Patrouillengängen in den vergangenen Monaten über 40 Wilderercamps entdeckt und zerstört und mehrere Wilderer aufgespürt bzw. festgenommen. Diese Zahlen demonstrieren noch die starke Präsenz illegaler Aktivitäten in Umphang. Es wird schätzungsweise etwa 5 Jahre dauern, bis derselbe Status in Bezug auf Umwelt- und Artenschutz erreicht ist wie in unserem bisherigen Projektgebiet, Mae Wong und Khlong Lan. Nichtsdestotrotz ist eine solide Basis für die Arbeit der Wildhüter geschaffen, auf die im kommenden Jahr weiter aufgebaut werden kann.

 
Wildhüter in Umphang: Befestigen von Kamerafallen (links) und bei einem Patrouillengang (rechts)

 
Aufklärungsarbeiten mit jungen Mönchen (links) und in Schulen (rechts)

 
Überreste eines Wilderercamps (links) und frische Tigerspuren (rechts) (© DNP & WWF Thailand)

Es hat sich sehr viel in 2019 getan und der Tigerschutz in Mae Wong, Khlong Lan und nun auch Umphang konnte einen großen Fortschritt erzielen. Wir möchten uns an dieser Stelle auch im Namen der Wildhüter bei allen unseren treuen Unterstützern von Herzen dafür bedanken, dass Ihr Tigerschutz Realität werden lasst! Nur Ihr macht diese Erfolge möglich! Mit Eurer Hilfe konnte die A World for Tigers Foundation dieses Jahr das Projekt zur Freilassung der Sambar-Hirsche unterstützen und die Ausstattung und Ausbildung der Wildhüter im neuen Schutzgebiet Umphang mitfinanzieren.